Eine Glosse von Gabriele Frydrych *)
Auf der Couch
Liegen Sie bequem so, Frau Lohmeyer? Dann schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich ganz auf Ihren Atem… Spüren Sie ihm nach, wie er Ihren Körper durchströmt… Lassen Sie Ihre Gedanken wandern… Sie wandern in die Schule, in Ihr Amtszimmer…Gleich gongt es zur großen Pause… Ich merke, wie Ihr Atem stockt! Ihre Hände verkrampfen sich! Was passiert gerade?
Mist. Ich habe nicht rechtzeitig das Weite gesucht. Ich verstecke mich sonst im Materialraum der Putzfirma, bis die Pause vorbei ist. Kollege Glöckner hat mich aufgehalten. Er ruft aus dem dritten Stock an: „Wann gibt es endlich Hitzefrei? Mein Thermometer zeigt über 40 Grad!“ Bestimmt hat er es in die pralle Sonne gelegt. Ich sage ihm das auf den Kopf zu. Da meldet er sich krank. Dabei hat er noch fünf Chemiestunden. Ich bitte Kollegin Merck, eine davon zu übernehmen. Sie bekommt am Telefon einen hysterischen Anfall: „Immer ich! Immer ich! Nur, weil ich so blöd bin und alles mache, ohne zu klagen. Andere müssen nie ran. Ich halte das nicht mehr aus! Ich beschwere mich beim Personalrat!“ Kollege Brümmer kann leider auch keinen Vertretungsunterricht übernehmen, weil er seine Brille vergessen hat. Die Hitze wallt von meinen Füßen hoch in den Kopf. „Warum sind Sie denn so rot?“, fragt die Sekretärin, die den üblichen Stapel Post reinbringt: Sonderangebote für Kletter- und Wasserparks, Klassenfahrten bis Uruguay und Tibet, Wettbewerbe, Kulturangebote, Schreiben von Rechtsanwaltskanzleien, die für nicht so erfolgreiche Schüler Abitur und Promotionszulassung erkämpfen wollen. Was nicht im Poststapel der Sekretärin liegt, kommt als Mail auf meinem Laptop an, ungefähr hundert Stück am Tag.
Zeitgleich mit dem Pausengong wird die Tür aufgerissen. Zehn Leute stürzen in mein Büro. Die Hausmeisterin fuchtelt mit einem Wasserrohr herum. Anscheinend ist Marvin mal wieder aus dem Unterricht geflogen und hat sich im Gebäude nützlich gemacht. Kollege Röder zerrt einen Schüler hinter sich her. „Der will mir sein Handy nicht geben! Nimm du es ihm ab!“ Der Schüler hält mir grinsend sein Handy hin. Vermutlich hat er noch eins als Ersatz in der Hosentasche. Ich lege das Teil in die Krabbelkiste zu der anderen Beute: Handys, Wurfsterne, Jagdmesser, Schreckschusspistolen und Würgehalsbänder. Frau Stolze, die Fachleiterin für Englisch, die gern zum Petzen kommt, wartet geduldig, dass sich das Rudel im Dienstzimmer auflöst. Herr Sommer fordert meine Unterschrift unter einen Tadel, damit es so aussieht, als hätte ich die Maßnahme verordnet. Herr Özgur will früher gehen, weil er zum Arzt muss. „Ich habe Rücken!“ Ich spreche meine Freude darüber aus, dass Frau Zäuners Dackel wieder gesund ist und sie sich zum Dienst zurückmeldet. „Was ist denn hier bitteschön falsch?“ Herr Walter fuchtelt erbost mit einem Protokoll herum, das ich nicht akzeptiert habe. Ich drücke ihm einen Duden in die Hand und widme mich der Gesamtelternvertreterin. „Es gibt dringenden Gesprächsbedarf!“, trompetet sie. Das kenne ich. Sie will in Ruhe mit mir über andere Eltern und Kollegen tratschen. Das Telefon klingelt seit fünf Minuten. Ich gehe nicht ran. Daraufhin hämmert auf meinem Handy das Intro zu “Satisfaction“. Wahrscheinlich findet mein Mann seine Autoschlüssel nicht. Aber es ist Kollegin Jahn aus dem ersten Stock. Sie klagt, dass es kein Toilettenpapier mehr gibt. Außerdem werde in ihrem Klassenraum nie hinter den Heizkörpern gewischt. Ich solle das mal der Hausmeisterin sagen.
Zwei Schülerinnen beklagen sich über die Handschrift und andere Ungerechtigkeiten des neuen Deutschlehrers. Frau Stolze schließt die Tür hinter ihnen, weil sie mir eine streng vertrauliche Mitteilung machen muss. Die besteht darin, dass die junge Referendarin zu enge Hosen trägt. „Man kann wirklich a l l e s sehen! Die Schüler werden in ihrem Unterricht ganz unruhig! Können Sie sie nicht mal offiziell belehren, dass man so nicht vor eine Klasse tritt?“ Ich bitte um interkollegiale Klärung. Frau Stolze ist beleidigt und schmettert die Bürotür zu. Leider hat ein wartender Schüler die Hand im Türrahmen. Schrille Schreie. Die Erste-Hilfe-Lehrerin wird gerufen. Jeder ihrer Auftritte ist großes Theater. Sie leitet nicht umsonst den Kurs Darstellendes Spiel. Auf meinem Schreibtisch wird das Operationszubehör ausgebreitet. Der weinende Knabe tropft. Ich kann kein Blut sehen und flüchte auf die Toilette. Wie dem Rattenfänger von Hameln folgt mir ein Schwanz von Bittstellern, Klägern und Querulanten. Frau Hammer kann ich kurz vor der Klotür abwehren. Ich halte die Spülung gedrückt, damit ich ihr Lamento nicht höre. Sie wartet, bis ich wieder rauskomme. Schülerin Samara hat ihr einen Vogel gezeigt. „Das kann ich gut verstehen“, murmle ich beim Händewaschen. Wann gongt es endlich zur Stunde? Wann verschwinden sie endlich in ihren Klassenzimmern? Im Sekretariat streiten sich zwei Sportkollegen, wer zuerst mit mir reden darf. Sie zerren aneinander rum. „Ich war zuerst da!“ – „Aber ich habe was ganz Dringendes zu klären!“ Als ich an ihnen vorbei will, trifft mich ein Ellbogen im Magen. An mehr kann ich mich nicht erinnern… Da fällt mir ein guter Witz ein: Wissen Sie, was der Unterschied zwischen meiner Schule und Ihrer psychiatrischen Anstalt ist? – Die Telefonnummer….
*) Mit freundlicher Genehmigung durch Gabriele Frydrych, Berlin,
der Autorin von „Von Schülern, Eltern und anderen Besserwissern: Aberwitz im Schulalltag“
mit 14 Fotos von Claudia Nitsche, erschienen im Pieper-Verlag
Die Autorin empfiehlt, bei der Lektüre “They’re coming to take me away ha-haa“ von Napoleon XVI zu hören, falls der „Song“ von 1966 gerade griffbereit ist.
Kontakt Gfrydrych@aol.com
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