Ist die Agenda 2010 eine feste Konstante oder wird sie variiert?
„Die Agenda 2010 ist ein mehrgliedriges Konzept der von der SPD und Bündnis90/Die Grünen gebildeten deutschen Bundesregierung (bis 2005), mit dem sie das deutsche Sozialsystem und den Arbeitsmarkt reformieren wollte. Große Teile des Konzeptes werden von den Oppositionsparteien unterstützt und von CDU/CSU aktiv mit gestaltet. Ausgangspunkt war die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003.
Der Begriff Agenda 2010 verweist auf Europa: Im Jahr 2000 beschlossen die europäischen Staatsmänner in Portugal, die EU in einem Lissabon-Prozess (Lissabon-Agenda) bis zum Jahr 2010 zur „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Region der Welt“ zu machen. Der Name stammt von Doris Schröder-Köpf….
Erklärtes Ziel der Agenda 2010 ist es, angesichts der Herausforderung […] der Globalisierung des Wirtschaftens […] und […] eine[s] radikal veränderten Altersaufbau[s] in unserer Gesellschaft wirtschaftliches Wachstum und damit einen höheren Beschäftigungsstand zu bewirken. Ausgegangen wird dabei davon, dass die Lohnkosten in Deutschland allgemein zu hoch seien und dass eine Senkung der Lohnkosten den Arbeitgebern Einstellungsanreize geben würde. Viele Veränderungen im Sozialstaat und in der Arbeitsmarkt- sowie der Familienpolitik sind vorgesehen oder bereits durchgeführt worden.
Ein weiteres Ziel der Agenda 2010 ist die Senkung der Sozialausgaben durch Senkung der Anspruchsberechtigungen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern (vor allem durch Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und Abschaffung der Arbeitslosenhilfe (Hartz IV), Streichung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslose, Senkung des Sozialhilfesatzes durch Pauschalierung von Einmalleistungen (ebenfalls Hartz IV)).
Die Agenda 2010 setzt insbesondere neoklassische Ideen um: Da der Staat in einer Marktwirtschaft gewerbliche Arbeitsplätze nicht per Anweisung schaffen könne und auch nicht durch öffentliche Investitionen bestehende Arbeitsplätze sichern oder neue schaffen solle, werden indirekte angebotsökonomische Einzelmaßnahmen ergriffen (siehe Hartz IV-Konzept) in der Hoffnung, dass damit Anreize zu verstärkten privaten Investitionen in Deutschland geschaffen werden, woraus neue Arbeitsplätze entstehen sollen.“
Quelle: Wikipedia
Lässt man die wirtschafts- und sozialpolitischen Nachrichten dieser Woche Revue passieren, so hat man berechtigten Anlass zu fragen, was eigentlich die Agenda 2010 (Ex-Bundeskanzler Schröder bestand aus marketing-technischen Gründen auf die Aussprache „Zwanzig-Zehn“) ist und ob sie so realisiert wird, wie geplant.
Der Rückblick:
SPD-Parteichef Kurt Beck schlägt vor, das Arbeitslosengeld I Erwerbslosen ab dem Alter von 45 Jahren künftig 15 statt bislang 12 Monate zu zahlen. Vom 50. Lebensjahr an soll es maximal 24 Monate lang Leistungen geben. Die „Agenda 2010“ sieht vor, dass Menschen, die über ein Jahr erwerbslos sind von nur noch 345,– EURO leben sollen. Das ist nur eine Veränderung, die das sogenannte Hartz IV Gesetz hervorgebracht hat. Diese 345,– EURO zuzüglich der Kaltmiete und Kosten für die Heizung (keine Unterstützung für Strom!) sind das sogenannte „Arbeitslosengeld II“. Dass dieser Satz trotz enorm gestiegener Lebenshaltungskosten (siehe Artikel über „Die Neue Marktwirtschaft“ vom 15. September 2007) erhöht wird, darüber gibt es seitens der Entscheider keine verbindliche Auskunft.
Arbeitsminister Franz Müntefering, einer der Entscheider schlechthin, ist gegen den Vorschlag Becks. Und steht damit durchaus nicht alleine da. Der ostdeutsche Parteivize Jens Bullerjahn äußert: „Wir können die Linkspartei niemals links überholen“.
Anstatt auf der konstruktiven Sachebene zu bleiben, in dem man sich über die Schaffung der Infrastruktur neuer, vollwertiger Arbeitsplätze macht und die konkrete Umsetzung dessen plant, wird ein so existenzielles Thema zu einem innerparteiischen Zankapfel stilisiert.
Die Not der Menschen ohne ein Einkommen, mit dem sie ihre notwendigen Lebenshaltungskosten realistisch decken können, wächst.
Gleichzeitig ist zu lesen:
„Die weltweite Finanzkrise hat die Deutsche Bank im dritten Quartal rund 2,2 Milliarden EURO gekostet. Dennoch erwartet der deutsche Branchenprimus für den Abschnitt von Juli bis September einen Gewinnanstieg.“ Und: „Der Nettogewinn soll mit gut 1,4 Milliarden EURO rund 200 Millionen EURO über dem Vorjahreswert liegen. Dabei kommen dem Kreditinstitut kräftige Sondererträge aus Verkäufen sowie die Rückerstattung von Steuern zugute.“
Quelle: Handelsblatt -Titel: Deutsche Bank trotzt Krise
Banken sind offenbar nicht nur krisenresistent, sondern entscheiden über Wohl und Wehe von gigantischen Konzernen, deren Strukturen und vor allem: über die Arbeitsplätze der Menschen, die Waren direkt an die „Adresse“ des Endverbrauchers bringen. Ohne Verkäufer kein Verkauf.
Aber, bis es zum eigentlich Verkauf der Ware an den Kunden kommt, arbeiten Banken und die leitenden Manangement-Köpfe der Großunternehmen. Wenn deren Arbeit scheitert, kann der motivierteste Einzelhandelsverkäufer die Ware nicht ans Ziel bringen.
Ein Beispiel aus dieser Woche:
„Nach Drospa, Idea und kd verliert nun auch das Traditionsunternehmen Ihr Platz seine Eigenständigkeit“.
Falls das Kartellamt zustimmt, wird zum Jahreswechsel „der Marktführer Schlecker das Ruder übernehmen“.
„Verkäufer sind die US-Investmentbank Goldman Sachs sowie die amerikanische Investmentgesellschaft Fortress, die erst vor einem Jahr mit rund 25 Prozent bei Ihr Platz eingestiegen war.“
„Die ehemaligen Seifenfabrikanten hatten die Drogeriekette 1895 gegründet und in den 1990er Jahren aber massiv heruntergewirtschaftet. Dabei galt Ihr Platz noch wenige Jahre zuvor als Marktführer“…
Und:
„Die Ihr Platz Geschäftsführung werde im Amt bleiben, die Frage nach dem Stellenabbau blieb hingegen unbeantwortet“
Quelle: Handelsblatt – Titel: „Schlecker greift nach Ihr Platz“
Die Deutsche Wirtschaft ist kreativ. Kreativ, was Konsolidierungen, Marketingkonzepte, Nutzung von Synergieeffekten betrifft. Durchaus positive Begriffe, hinter denen aber auch Fakten wie Umstrukturierungen und Eliminierungen von Arbeitsplätzen stecken und versteckt werden.
So war es dem Daimler Konzern durchaus wert, für eine Umbenennung von „Daimler Chrysler“ in „Daimler AG“ eine außerordentliche Hauptversammlung in der Landeshauptstadt einzuberufen. Das „strategische“ Ziel erklärt der Konzernchef Zetschke: „In der Summe streben wir nicht danach, das größte Automobilunternehmen der Welt zu werden, aber eines der auf Dauer angesehensten“. Je größer ein Automobilunternehmen ist, desto mehr Arbeitsplätze bietet es. Je höher das Ansehen eines Unternehmens ist, desto höher der Preis für die Marke. Welche makabren Auswirkungen Personalknappheit haben, zeigt unsere Strafgerichte.
So war diese Woche in der Rheinischen Post zu lesen:
„Karlsruhe: Strafrichter müssen sich nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichtes in großen Strafverfahren mehr beeilen. Die Gerichte müssen trotz Personalknappheit mehr als nur einen Verhandlungstag pro Woche anberaumen.“
Die Forderung nach mehr akademisch gebildetem Personal kam diese Woche von der „Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände“ BDA. Nun will man den Zugang zu Universitäten für Menschen ohne Abitur ermöglichen. Die Schlagwörter heißen hier: „Durchlässigkeit beim Hochschulzugang“ und „Duale Ausbildung“.
Nachdem nun aber durch das Hartz IV-Gesetz Hunderttausende Akademiker in Perspektivlosigkeit gedrängt worden sind – hier lautet das Stickwort: „Überqualifizierung“, fragt es sich, wie sollen Menschen, die derzeitig einen Arbeitsplatz haben, eine „Auszeit“ in Form eines Studiums zu riskieren? Und: Wer garantiert ihnen einen festen, noch besser bezahlten Arbeitsplatz mit einer Langzeitperspektive? Dem Fass setzt folgende Nachricht in dieser Woche die Krone auf: „Millionäre en masse. Die Zahl der Reichen und Superreichen wächst.“ (Handelsblatt)
Wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was die Agenda 2010 zum Ziel hat, dann können wir uns – angesichts des Rückblickes dieser Woche – ein Bild davon machen, welche Schwerpunkte sie hat und wem sie hilft, wem sie nicht hilft und wem sie schadet.
Eine empfehlenswerter Link von der Landeszentrale für politische Bildung über die Hintergrundinformationen über Globalisierung, ohne die die „Agenda 2010“ nicht betrachtet werden kann, in Zahlen und Fakten ist:
http://www.bpb.de/wissen/Y6I2DP,0,Globalisierung.html.
Hierzu noch ein Zitat:
„Globalisierung: In über 100 Staaten gibt es Fast-Food-Ketten mit weit über 130.000 Filialen, der globale Warenexport ist seit 1950 um 2.650 Prozent gestiegen und den 2,6 Milliarden Armen stehen 800 Milliardäre gegenüber. Die einen verbinden mit Globalisierung steigende Chancen für alle und wirtschaftlichen Aufschwung weltweit. Die anderen fürchten den „Terror der Ökonomie“ und sehen mehr Verlierer als Gewinner…“
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