Wer hat Zeit, Raum und Gesundheit dazu…?
Luise B. ist 93 Jahre alt bei hoher Vitalität, und nur die arthritischen Knie schmerzen, seit sie sich mit 88 Jahren einer ambulanten Knie-Punktion unterziehen ließ und dabei einen Infekt fing, der beschwerlich zu therapieren war. Jetzt geht sie recht flott am Rollator, hat ein freundliches Appartement im städtischen Spital, zahlt aus einer guten Portion Erspartem 300 Euro auf die Witwenrente dazu, auf dass die Heimunterbringung von 50 Euro je Tag bezahlt ist. Das nun hat mit Statistik gar nichts zu tun.
Und so kann eine Allensbach-Umfrage noch so seriös sein, dass aber zwei Drittel aller Berufstätigen ihre Angehörigen im hohen Seniorenalter zu Hause pflegen wollen, kann kaum geglaubt werden. Ist nämlich eine Mutter 93, sind Sohn oder Tochter zum Beispiel 61 oder 62, was körperlich wohl kaum zulässt, das Mutter Luise im Haushalt von Sohn oder Tochter „gepflegt“ werden wollte oder auch nur versorgt sein könnte.
Was also soll die soziologische Befragung dazu, wer als Arbeitnehmer gerne zuhause Angehörige pflegen wolle, wenn zu allem noch die Arbeitgeber wenig Möglichkeiten bieten, Pflege und Beruf zu vereinbaren. Und vor allem auch die räumlichen Gegebenheiten in einer Wohnung unter 90 Quadratmetern mit nur einem Bad gar nicht zuleisten ist.
Wer hat Platz für Oma?
Wenn in Deutschland inzwischen rund 2,25 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen und mehr als 1,5 Millionen von ihnen zu Hause versorgt werden – durch Angehörige und ambulante Dienste – ist kaum zu glauben, dass auch 65 von 100 Berufstätigen ihre Angehörigen möglichst selbst betreuen und versorgen wollen.
Dem widerspricht nämlich nicht nur, dass Beruf und Pflege sich kaum vereinbaren lassen, viel eher sind es auch die wohnlichen Verhältnisse, unter denen eine „Pflegefall“ nicht doch das Maß des räumlich Zumutbaren und der Einschränkung bisheriger Gewohnheiten übersteigt.
Was also immer eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bundesfamilienministeriums „belegen“ mag, es ist kaum vorstellbar, dass 79 von 100 befragten Arbeitnehmern bei bestem Gewissen erklärt haben könnten, Familie und Pflege seien leider (?) und entgegen ihrer Fürsorge nicht gut vereinbar. Aber wie auch…?
Wenn nun hier ein politisch neu-zeitliches Modell der Familienpflegezeit ansetzt, muss dies im Zusammenhang damit gesehen werden, dass angeblich viele Familien sich der schwierigen Aufgabe stellen und einen Angehörigen selbst pflegen.
Wer dies vermag und auch noch voll im Berufsleben steht, kommt schnell an seine Grenzen, gibt im Mai 2010 auch die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zu bedenken.
Wer jedoch arbeitsrechtlich die Möglichkeit nutzen will, um für die häusliche Pflege ein halbes Jahr aus dem Beruf auszusteigen, der muss wissen, dass diese Freistellung unbezahlt bleibt. Eigentlich auch logisch. Weshalb also auch viele Menschen fürchten, dass dieser finanzielle Mangel auch zu einem berufliche Nachteil führen könnte.
Jetzt will also die Politik mit der Familienpflegezeit jenen Berufstätigen helfen, die verantwortlich für ihre Angehörigen häuslich pflegen wollen.
Mutter gefällt es im Heim!!
Kritiker glauben nun nicht sofort an diese „moderne Sozialpolitik“, obwohl das Modell (!) vorsieht, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren auf bis zu 50 Prozent reduzieren können, dabei dann aber 75 Prozent ihres Gehalts beziehen.
Der Ausgleich ist dann gegeben, wenn man später wieder voll arbeitet, und weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts bekäme, Solange, bis das Zeitkonto
wieder ausgeglichen ist.
Provokant bleibt die Frage, ob er als normaler-Büro-Arbeitnehmer weiß, wie eigentlich häuslich zu pflegen ist, und ob nicht nur deshalb dieser Schritt „gewagt“ wird, weil eben der hoch betagte Pflegefall in Stufe I bis III nur deshalb nicht ins Alten- und Pflegeheim kann, weil dessen Rente und Erspartes nicht reicht. Ganz abgesehen von den Zuzahlungen, die das immobile Vermögen aufzehren oder was Sohn oder Söhne, Tochter oder Töchter zuleisten im Stande sind.
Als Arbeitnehmer bereits im Vorfeld einer erwarteten Pflegebedürftigkeit Arbeitszeit für die Pflegephase auf einem Wertkonto ansparen, ist aus sachlicher Betrachtung kaum jemandem zumutbar.
Und wie begeistert Arbeitgeber über eine Pflegephase sind, muss offen diskutiert werden.
Und wieder mal ist es ‚Professor Rürup‘, für den flexible Arbeitszeiten das zentrale Instrument zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sind.
Zusammenhang mit der Familienpflegezeit hat er ein Konzept erarbeitet, das
während der Pflegephase gewährte Lohnvorauszahlungen gegen die Lebensrisiken
absichert.
Dies geschieht in Form einer Versicherung, die mit Eintritt in die Familienpflegezeit vom Arbeitnehmer abzuschließen ist, lediglich geringe Prämien erfordert und mit dem letzten Tag der Lohnrückzahlungsphase der Familienpflegezeit endet.
Danke, Herr Rürup, bitte nicht!
Caligula meint
Solange die hoch angesehene soziale Leistung des Pflegepersonals ohne den jetzt (ab August 2010) gesetzlichen Mindestlohn ordentlich bezahlt wurde, musste man tatsächlich davon ausgehen, dass Alten-und Pflegeheime noch lange am schlechten Image leiden…
Und doch gab es schon vor dem Mindestlohn gute Häuser, in denen man Angehörige ohne Scheu und Scham unterbringen konnte…
Wer als Arbeitgeber ordentlich zahlt, der kann auch mit Zustimmung in den nötigen Berufen rechnen. Jetzt noch die Jahresabschlüsse der
AHP’s konrollieren und es dürfte klar werden, wer seriös pflegt!!