Würde man etwa hunderttausend Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechtes mit unterschiedlichem Ausbildungs- und Berufsbackground und möglichen, weiteren Unterscheidungsmerkmalen befragen, was der Begriff „Bildung“ für diese bedeutet, wäre alleine diese Fragestellung schon doppeldeutig.
Es bedeutet etwas als Begriff, in dem Sinne, was man meint, was die gängige Antwort wäre, und es bedeutet Jemandem etwas, weil es eine ganz persönliche Bedeutung aus seinem Erfahrungs- und Erlebnishorizont hat.
Hat Bildung etwas mit Wissen zu tun? Etwas mit Benehmen? Basiert Benehmen auf sozialem Verhalten oder überwiegend auf gesellschaftliche Normen?
Befinden sich Bildung, Wissen und Intelligenz auf einer „Bedeutungs“-Ebene?
Liegt uns ein Bedürfnis nach Bildung inne oder/und ist man als gebildeter Mensch automatisch gesellschaftlich privilegiert, erwirbt also durch seine Bildung gesellschaftliche, das heißt soziale und materielle Vorteile?
„Bildung“ kann auf jeden Fall ein Reizwort sein, eine Provokation: „Na, das ist ja ein ganz Gebildeter, der Herr ….“ Oder: „Von einem gebildeten Menschen hätte man das aber erwarten können!“
In der Soziologie gibt es mehrere Begriffe, in deren Zusammensetzung das Suffix „Bildung“ steht, wie zum Beispiel: „Bildungsbarriere“, „Bildungsbürgertum“, „Bildungsökonomie“ und sogar „Bildungsplanung“.
Gemäß der soziologisch geprägten Definition ist Bildung in erster Linie: „Im pädagogischen Sinne Formung des Menschen durch Vermittlung von inneren Anlagen und äußeren Einflüssen.“
Haarsträubend und einzig als perfide Provokation ist die Missdeutung dieser Definition zu verstehen, wenn man diese so auslegt, als sei Bildung „genetisch“ bedingt. Derlei hanebüchene Äußerungen kann man nur als einen besonders makabren Versuch von Diskriminierung betrachten.
Bildung ist vielmehr ein Potential, über das jeder Mensch verfügt, das er nach seinem Belieben oder je nachdem, wo er mit dem Zuwachs von Bildung auch unbewusst konfrontiert wird, erweitern kann. Bildung kann ein Genuss sein; denn sie fördert eine Expansion der Handlungsmöglichkeiten eines Menschen.
Sobald Bildung gefordert wird, entsteht Stress. Und Stress ist ein Hemmer.
Damit steht die Forderung nach immer mehr Bildung in immer kürzerer Zeit, verbunden mit einem Existenzdruck im diametralen Gegensatz zu ihrem Wesen. Bildung bedarf Entwicklung und individuellem Wachstum.
Wenn ein Mensch den Freiraum hat, nach seinen Bedürfnissen sein Bildungsspektrum zu erweitern, hat er die Voraussetzung für „Bildung“. „Built this city“. Oder: Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.
Dies schien bereits der Humanist Humboldt, der Namensgeber zahlreicher Schulen, erkannt zu haben, als er sagte: „Der wahre Zweck des Menschen…ist die höchste und proportionierlichste Bildung (Anmerk. d. Autorin: Dieses Wort enthält den Begriff „Proportion“) seiner Kräfte zu seinen Grenzen…“ In jedem jungen Menschen schlummere ein vielseitig interessiertes Wesen, das alles, was an ihm angelegt sei, „stärken und erhöhen wolle“*.
Bildung ist auch ein Politikum, zumindest wurde sie dazu gemacht. Spätestens, seitdem „PISA“ eine zweite Bedeutung erhalten hat, „wissen“ wir das.
Bildung zu nivellieren: Entspricht das dem Grundwesen des Menschen? Dessen individueller Entfaltung? Wie kann man da Chancengleichheit gewährleisten? Besonders dann, wenn Bildung gefordert wird und gleichzeitig auch noch finanziert werden muss? Auch finanziert werden muss von Menschen, die sich diese Kosten gar nicht leisten können?
Von wie viel Bildung, zu der auch Intellekt, also „Einsicht“ gehört, zeugt die Forderung, Sozialbenachteiligte sollen sich in die Gesellschaft durch mehr Bildung „reintegrieren“, wenn man von Ihnen Unmögliches zu verwirklichen fordert: Die Bezahlung von mehr Bildung, die nicht bezahlbar ist?
Bildung wird auch bestraft. So ist der Begriff „Überqualifizierung“ ein Phantasieprodukt, dass eine Rechtfertigung darstellen soll, dass Hochqualifizierte nicht mehr eingestellt werden sollen. Nach einem Jahr greift dann das Hartz IV Gesetz und sie sind sozialbenachteiligt. Welchen Sinn macht das?
Die Definition eines Politiklexikons für Bildung lautet:
„Als Bildung bezeichnet man sowohl die geistige Gestalt eines Menschen, die er an sittlichen und geistigen Werten seines Kulturkreises erworben hat, als auch den Prozess der Erziehung, Selbsterziehung, Beeinflussung, Prägung, der zu dieser Gestalt hinführt.“
Wenn u. A. Akademiker zusätzlich zu der Arbeitslosigkeit mit dem Hartz IV Gesetz konfrontiert werden und man ihnen die Titel „Schmarotzer“, „Arbeitsverweigerer“, Asozial“ und „Prekariat“ verleiht, welche politische Veränderung macht er dann qua der oben stehenden Definition durch?
Es ist widersinnig, die Ansprüche auf Bildung politisch hochzuschrauben und gleichzeitig Menschen zu entmündigen. Auf nicht nur materieller und sozialer Ebene, sondern der existenziellen, indem man sie der Verwirklichung ihrer Urbedürfnisse beraubt. Auch der Bildung, die ein lebenslanger Prozess ist. Ein Grundbedürfnis des Menschen.
Zitat der Schuldirektorin Radhika Ogale (45 Jahre) der Sevasadan English Medium School in Poona, Indien:
„Wir hoffen, die Schüler verlassen uns als ausgeglichene, engagierte und selbstständige Menschen“.
Quellen: Das, was die Autorin im Kopf hat, „Das Philosophische Wörterbuch“, Hrsg. V. Georgi Schischkoff, Bd 13, Kröner Verlag Stuttgart: 1978, „Wörterbuch der Soziologie“, Hrsg. V. Hartfiel/Hillmann, 3. Aufl, Kröner Verlag Stuttgart: 1972, Ausgabe von GEO vom 09.September 2006 mit dem Titel: „Bildung: Welches Wissen braucht der Mensch“.
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