Als Nachhilfeschüler war Alex H. ein netter Kerl: 17 Jahre alt, Raucher, eingebunden in seiner Burschen-Clique, gelegentlich ein Bier zu viel, weil frisch verliebter oder auch wieder entliebt, ausgestattet mit Smartphon, doch mittags meist müde. Nicht unbedingt vom Mittagessen, viel eher, weil er zugeben musste, nachts lang fernzusehen. Da blieb nicht aus, dass man so manche Klassenarbeit „verkackte“. Das nun führte auch zu gestischen Marotten und zur bescheidenen Scham dazu, dass Alex seine Dyskalkulie im Unterricht an der privaten Berufsfachschule Wirtschaft nicht verbergen konnte.
Dreißig von 100 Schülern – so die Wissenschaft – klagen über psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafprobleme, sind gereizt oder niedergeschlagen. Eltern geraten unter Druck, beklagen ein stressiges Familienleben wegen der Ansprüche in der Schule. Und die Lehrer? Die Mehrzahl ausgebrannt oder vom Burnout schon befallen…
Doch zur allgemeinen Überraschung bedeutet das Wort „Schule“ ursprünglich mal „Muße“. Wirklich? Tatsächlich…?!
Seit den 70er Jahren forschen und berichten Sozialwissenschaftler über krank machenden Schulstress „mit erschütternden Befunden“.
Der Mediziner Erich Zapp stellt 1976 fest: „Nicht nur im Vorfeld der Schule, sondern in ihrer eigenen Struktur und Praxis sind pathogene Noxen vorgegeben. Es handelt sich um die typischen Auslösungsbedingungen für das so genannte psychophysische Überforderungssyndrom.“
Klaus Hurrelmann beklagte in den späten 80er Jahren spezifizierte Symptome, denen Jugendliche mit Kopfschmerzmitteln und Psychopharmaka begegneten.
Thomas Fischbach markiert: „Somatoforme Störungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Bauchschmerzen bis hin zu depressiven Symptomen und Schulverweigerung lösen in der Kinder- und Jugendmedizin zunehmend organische Erkrankungen“ aus.
Ist es da nicht schizophren, wenn Schule sich um mehr Bewegung, um gesunde Ernährung und Stärkung des Selbstwerts von Kindern kümmert, während verdichteter Stoff und erhöhter Leistungsdruck den Nachwuchs stark belasten?
Und so fühlen sich auch Lehrer durch ihrer Arbeit als stark belastet – physisch wie psychisch. Da fragt sich der Oberstudienrat a.D. als Jungpensionär nach 40 Jahren an der „gymnasialen Obrstufe seiner Anstalt“, wie er das denn ausgehalten hat…?
Liegen doch die Unterrichtsverpflichtungen noch immer bei 25 Wochenstunden, wenn auch nicht immer glücklich verteilt auf die Tage. Da zieht auch nicht, dass ein digitales Klassenbuch mehr an Zeit erfordert als früher.
Und die Aufgaben der Schulverwaltung sollen gefälligst diejenigen machen, die auch Abteilungsleiter in A 15 werden wollten, weil das zum Teil auch der Lehrergattin gut tut.
Gleich machende Leistungsstandards waren jedenfalls die vergangenen 40 Jahre kein Thema und landeseinheitliche Vergleichsarbeiten heben auch den Konkurrenzdruck in den Kollegien nicht an.(Zitat aus dem Ländle: „Sie nennen sich Kollegen, weil sie sich nicht megen“.)
Klar ist Unterricht die „Kernaufgabe von Schule“, und das geht auch damit das man Beziehungen gestaltet. Hat dem OStRat des Einstellungsjahrgang 1973 jemals jemand von der Schulforschung verklickert, dass gute Schulleistungen nachhaltig möglich sind?
Er hat es selbst erkannt, weil er in der Großen Pause nicht ins Lehrerzimmer kam mit dem Frust: Schon wider nur 5 Punkte im Durchschnitt. Ich hab gewusst, das die bleed sind…“.
Schuleiter als Technokraten
Doch ‚Beziehungsdidaktik‘ wurde auch den Diplom-Kaufleuten oder Volkswirten und späteren Lehrer im „kaufmännischen Fächerfeld“ nicht gelehrt. Und trotzdem zehrt das Dilemma zwischen technokratisch verstandenen Schulleistungen und einer Bildungsarbeit, die den junen Menschen ganz erfasst, nicht bei allen Lehrern an deren Kraft und Nerven.
Viel eher waren es besch…. Stundenpläne und einzelne Schulleiter, die sich den den Blick für die Kollegen und für den früheren Korpsgeist der 80er und 90er verstellten und als selbstgefällige Technokraten gegenüber dem Schulträger wirkten.
Wie aber kommt man(n) gegen den Auslöser des Burnout-Syndroms, die „Dehumanisierung“ an? Manchmal auch mit gebremstem Zynismus als „selbstschützende Haltung“ gegen den Frust und die vermeintliche Nutzlosigkeit des pädagogischen Alltags.
Es muss aber nicht so sein, dass Schüler auf die Frage, was an Schule schlimm sei, auf „inkompetente“ und „mit sich selbst unzufriedene“ Lehrer hinweisen. Denn 25 Prozent aller Lehrer-Schüler-Interaktionen seien „verletzender Natur“. Hoppla!
Dazu der Lehrer und Diplom-Pädagoge Detlef Träbert, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Aktion Humane Schule:
Das antike Verständnis von „Muße“ umfasste das geistige Tätigsein im Unterschied zu harter körperlicher oder Sklavenarbeit. Dieses Verständnis von Schule passt zu den vier Säulen des ganzheitlichen Bildungsbegriffs der UNESCO, wie er im Delors-Bericht (1996) als Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beschrieben wurde: Lernen, zusammen zuleben; Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zu handeln; Lernen für das Leben.
Das bedingt eine humane Schule. Ohne Stress. Das geht. Zum Beispiel auch ohne aufwändige Hausaufgaben. Dazu muss aber der Unterricht in Selbst-Evaluation auch laufend hinterfragt werden.
Denn jahrelang dieselben Arbeitsblätter auf den Kopierer legen, reicht nicht.
Schreibe einen Kommentar