Im Westen was Neues. Bochum bald kein Standort mehr für Nokia. Tief im Westen
1995 widmete dereinst Herbert Grönemeyer Bochum ein Liebeslied, das quasi zu einer Hymne geworden ist und das vor jedem Spiel des Vfl Bochum gespielt wird und den Fans selbsterklärt „Gänsehaut einjagt“. Ein kurzer Textauszug aus dem Song:
„Wo die Sonne verstaubt
Ist es besser
Viel besser, als man glaubt
Tief im Westen
Du bist keine Schönheit
Vor Arbeit ganz grau
Du liebst dich ohne Schminke
Bist ’ne ehrliche Haut
Leider total verbaut
Aber grade das macht dich aus
Du hast ’n Pulschlag aus Stahl
Man hört ihn laut in der Nacht
Du bist einfach zu bescheiden
Dein Grubengold
Hat uns wieder hochgeholt
Du Blume im Revier
(Refrain) Bochum, ich komm aus dir
Bochum, ich häng an dir
Glück auf, Bochum …“
Gänsehaut bekommt man, wenn man jetzt auf der Titelseite der Rheinischen Post den verzweifelten Gesichtsausdruck einer Nokia Mitarbeiterin sieht, die sich flehend an CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers wendet.
Dem finnischen Hersteller mobiler Telefone Nokia wird nun nachgesagt, er verhalte sich wie eine „Subventionsheuschrecke“, da er Finanzhilfen in Höhe von 60 Millionen Euro alleine vom Bundesland Nordrhein-Westfalen kassiert habe und nun abwanderen will. Es stehen nun wieder 2.300 Arbeitsplätze zur Disposition.
Während Rüttgers Nokia bedenklicherweise lediglich vor einem „Imageverlust“ warnt, schaltete die NRW-SPD gestern in ihr Internetforum den Slogan „No Nokia, so nicht!“ (www.nrwspd.de) frei. Die SPD Landtagsfraktionsvorsitzende Hannelore Kraft moniert:
„Das Verhalten von Nokia ist ein Skandal. Rund 60 Millionen Euro Subventionen hat das Unternehmen erhalten. Das Werk in Bochum schreibt schwarze Zahlen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben noch vor Weihnachten einen Bonus erhalten für ihre gute Arbeit. Gleichzeitig war die Entscheidung für die geplante Verlagerung der Produktion nach Rumänien offenbar längst gefallen. Das ist unanständig, eiskalt und berechnend. So geht man nicht mit Beschäftigten um.“
Sie möchte öffentlichen Druck erzeugen, indem sie auf ihrer Website Lesern die Möglichkeit gibt, sich über Nokia zu äußern.
Nokia lenkt jedoch nicht ein. Soviel Ungemach macht Politiker zumindest sprachlich krreativ. So charakterisiert der SPD Europa Abgeordete Martin Schulz das Verhalten von Nokia wörtlich als „Manchester-Kapitalismus in Reinkultur“. Das Unternehmen gehe dorthin, wo es Menschen am einfachsten ausbeuten könnte.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete heute, Schulz habe geäußert, dass „Unternehmensvorstände ohne Rücksicht auf Standorte und nationale oder regionale Gegebenheiten nach Kriterien der Gewinnorientierung entscheiden.“ Nach seinen Erkenntnissen seien „keine direkten Mittel der EU an Nokia für den Aufbau des neuen Standortes in Rumänien geflossen. Die Region könne allerdings aus Mitteln des EU-Struktur- oder Entwicklungsfonds erhalten haben“.
Mittlerweile jedoch betonte Nokia, dass es mit deutschen Stellen nicht über eine mögliche Weiterführung des Werkes in Bochum mit 2300 Beschäftigten verhandeln wolle. Die Entscheidung zur Schließung sei „sehr genau durchdacht“, sagte eine Unternehmenssprecherin in Helsinki ganz lapidar. Und: „Wir haben sehr sorgfältige Analysen der Kosten und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Bochumer Werkes durchgeführt.“ So reiht sich das Unternehmen Nokia in eine lange Kette von Unternehmen seit spätestens der Jahrtausendwende ein, die fernab jeglicher Ethik „unternehmerische Entscheidungen“ treffen.
Jetzt müssen die künftigen Ex-Mitarbeiter von Nokia in Bochum um ihre Existenz bangen. Wenn sie binnen 365 Tagen keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, droht ihnen die Ausbeutung mittels sogenannter 1-Euro Jobs. Diese Art der Ausbeutung wurde bislang trotz sachlicher Argumente erfolglos kritisiert. „Tief im Westen“ weicht blau dem grau.
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