Über Konrad Ott: Zuwanderung und Moral: Reclam, Stuttgart 2016. 94 S., 6 Euro.
Wer Christ ist, hat Gesinnung. Hat er aber auch Verantwortung im Umgang mit Flüchtlingen? Christine Richard fragt zu Ostern im Südkurier KN: Wie sollen Christen mit den Flüchtlingen umgehen? – Muss man nach Jesu Leitbild alle Fremdlinge aufnehmen, weil Jesus Christus ein Weltgericht angekündigt hat: Wer Menschen in Not helfe, erfahre das ewige Leben. Den Ungerechten aber verkünde er ewige Pein…??!!
[…] Jesus kenne keine Obergrenze für Nächstenliebe. Keine Kontingente für Zuwanderer. […] Wer jedoch „abendländische Leitkultur“ sage, um Europa gegen fremde Kulturen zu verteidigen, müsse auch Christentum sagen. Und wer Christentum sagt, muss auch Caritas sagen.
Aber: Sollen wir jetzt alle Fremdlinge beherbergen, nur weil das Christentum ein Grundpfeiler unserer Kultur ist? Ja. Und Nein.
Der Soziologe und Nationalökonom Max Weber (1864-1920) unterschied zwischen Gesinnungsethik – sie vertritt rigoros moralische Grundsätze ohne die Konsequenzen absehen zu wollen – und die Verantwortungsethik, die an die Folgen des Erfolgs denkt. Auch sie hat moralische Grundsätze, aber sie ist pragmatischer, wägt ab zwischen Interessen, orientiert sich am Möglichen.
Zur Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 […] fragt der Gesinnungsethiker: Wie kann eine Behörde beurteilen, ob eine Angst unbegründet ist? Der Verantwortungsethiker jedoch konzentriere sich nicht auf das Gefühl des Flüchtlings, sondern auf die Begründetheit der Angst: Wie sicher ist die Lage im Herkunftsland?
„Den berühmtesten Gesinnungsethiker des Abendlandes kennen wir schon. Es ist Jesus Christus, gefolgt von Aposteln aus dem links-grünen Milieu, von Pro Asyl oder vielleicht auch Angela Merkel. Sich über sie lustig zu machen, ist allerdings so einfach wie dümmlich. Gutmeinende Menschengehören nicht als „Gutmenschen“ verschrien; sie sind die Hüter unserer Moral, mögen sie noch so naiv wirken. Allerdings sollte man ihnen keine Führungspositionen anvertrauen – so wenig übrigens, wie den Profitgeiern, den betriebsblinden Utilitaristen oder narzisstisch übersteuerten Machtmenschen.“
Doch was gebraucht wird bei tausenden Zuwanderen, sind Verantwortungsethiker, die sich nach Konrad Ott, Professor für Umweltethik, als Verantwortungsethiker vom Gesinnungsethiker klar unterscheiden.
Verantwortungsethiker verstehen sehr gut, dass sich Armutsflüchtlinge als politisch Verfolgte ausgeben, um von unseren Behörden anerkannt zu werden. Solche Notlügen dürfen aber nicht toleriert werden, denn sie machen den moralischen Diskurs insgesamt unglaubwürdig.
Verantwortungsethiker rechnen. Eine Million Flüchtlinge und Migranten kosten zehn Milliarden Euro. Das Geld ist in den reichen Ländern prinzipiell vorhanden. Es muss nur umverteilt werden. Aber wie? Sicher nicht zulasten der Unterschicht, die Flüchtlinge sowieso als Konkurrenten erlebt. Eine Reichensteuer? Konrad Ott will die Budgets jener anzapfen, die mehrheitlich eine Gesinnungsethik vertreten, „wie etwa die Kirchen, Wissenschaft, Medien und Kultur“.
Verantwortungsethiker wissen um die Fremdenfeindlichkeit, die im Menschen prinzipiell angelegt ist. Absehbar ist für ihn wachsender Hass, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Verantwortungsethiker sehen den inneren Frieden bedroht – für sie ein hohes Rechtsgut. Wenn Zuwanderer zwecks Eingliederung stärker gefördert werden als Einheimische, kommt Neid auf. Und Hass, wenn Fremde an Orten untergebracht werden, wo Einheimische sowieso schon in ärmlichen Verhältnissen leben.
Verantwortungsethiker haben nichts gegen eine offenere Migrationspolitik. Aber sie rechnen vorher durch, ob sie tatsächlich Vorteile bringt. Erstens: Bringen Migranten eine kulturelle Bereicherung? Allenfalls marginal, meint Konrad Ott, wir leben schon jetzt multikulturell genug. Zweitens: Bringen Migranten volkswirtschaftlich Vorteile? Ja. Aber erst nach vielen Jahren der Qualifizierung, wobei eine Subkultur der Gescheiterten bleiben wird. Drittens: Braucht eine alternde Gesellschaft nicht Zuwanderer für ihr Rentensystem? Prinzipiell ja. Doch eine massive Zuwanderung in kurzer Zeit wie derzeit in Deutschland, „schafft mehr ökonomische Probleme, als sie löst“.
[…] Verantwortungsethik heißt für Ott: „Es geht darum, wirksame Abreize gegen Migration in den Grenzen der Menschenwürde zu setzen und Fluchtgründe im Rahmen des Völkerrechts zu reduzieren.“„Abreize“ schaffen – und wie soll das gehen? Mit beinahe perfider Ausführlichkeit rechnet der Philosoph vor: Migration ist für afrikanische Familien ein „Geschäftsmodell“. Sie investieren in die Reise junger Männer nach Europa, damit diese Geld nach Hause senden. Wer Migration einschränken will, muss also das Geschäftsmodell zerschlagen. Es gibt zwei Möglichkeiten.
Christine Richard: „Lese ich die frostige Kalkulation dieses Verantwortungsethikers, bin ich heilfroh, dass es Gesinnungsethiker gibt. Man mag sie für naiv halten. Aber ohne sie geht es nicht. Und zudem: Ein gütiger Mensch zu sein, anderen zu helfen ohne Rücksicht auf eigene Verluste – ist das nicht ein wunderbares Gefühl, sich selbst zu übersteigen?
Andererseits: Auf gute Gefühle und freundliche Gesinnung ist keine Welt zu bauen. Als Gesinnungsethiker ungeahnte Kräfte entfesseln: Nur so geht es vorwärts.
Als Verantwortungsethiker die Grenzen der eigenen Belastbarkeit erkennen und vorausschauend handeln: Nur so wird es gut.“
Konrad Ott: „Zuwanderung und Moral“. Reclam, Stuttgart 2016. 94 S., 6 Euro.
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