Mädchen sind die besseren Jungs! – Doch ob Junge oder Mädchen, Statistiken sagen nichts über das Individuum aus. Da kann die Meldung, dass trotz Pisa in der Schuldebatte zu wenig durchgedrungen sei, dass die Schulergebnisse der Mädchen im Vergleich zu denen der Jungen seit langem ständig besser wurden, zunächst wohl auch nur statistisch gelten.
Als zunächst reines Datenmaterial gilt, dass seit 1990 die Zahl der Abiturientinnen von knapp 90 500 auf 145 500, die der Abiturienten von 88 500 auf 113 000. Und so waren 2007 bereits 56 Prozent der Abiturienten weiblich. Da blieb nicht aus, dass sich bei den Hochschulabsolventen ein ähnlicher Trend darstellt.
Sieht man es gesamtwirtschaftlich, wird also das Humankapital auf formaler Ausbildung weiblicher. Werden nun gleichzeitig Bildungspotenziale von Schülern verschenkt? Und wird sich im gesellschaftlichen Leben tatsächlich die Balance verschieben? Von der Partnerwahl bis hin zu den beruflichen Aufstiegen neuer Art?
Buben in den 50ern
Wer zum Beispiel 1955 eingeschult wurde, der hat zwar nicht auch unbedingt gleichaltrige Mädels in der Klasse kennen gelernt, weil diese noch auf die Mädchenschulen gingen, doch waren dann vier Jahre später noch über 60 Prozent der Sextaner an den Gymnasien Jungen. Nicht weil dise schlauer und bildungsfähiger waren, sondern weil der „alte Vätersatz“ galt: „Du heiratest ja doch!“ Das nun benachteiligte das Jungmädchen-Volk. Ob an Realschulen oder nach der Zehnten am Gymi – mehr Mädchen als Jungen traten nach der mittleren Reife in ein Lehrverhältnis.
Mit Beginn der 80er-Jahre wurde diese ‚Diskriminierung‘ geringer; in der Sexta und in den Klassen R5 wurden die Mädchenquoten höher und reichten bis zu 52 Prozent und darüber.
Und spätestens seit der Jahrtausendwende zeigen die noch höheren Abiturquoten der Mädchen auch bessere Leistungen während der Oberstufenzeit. Physiologisch und neurologisch beweisen die Mädchen bei anderer Konstitution, bei höherer Lern- und Kooperationsbereitschaft und bei höherer Konzentrationsfähigkeit mehr Schultalente als Jungen. Die nämlich sind ab 14,15 oder 16 ungeduldiger, spontaner, undisziplinierter und weniger motiviert.
Falsche Emotionen am PC
Muss nun die Soziologie ein „Endlich!“ posaunen oder auch mit Beifall reagieren? Eher nein, denn es entsteht eine neue Ungleichheit. Wenn nämlich Jungs zurück bleiben, hängt das zusammen mit der Bedeutung der elektronischen Medien und der faszinierenden Kunst- und Emotionswelt der Computerspiele. Diese Mischung aus strategischem Teamerlebnis, aus Glücksspiel und auch aus Brutalität ohne Empathie wird vor allem von jedem sechsten Jungen fast täglich für mehrere Stunden wahrgenommen.
Bei solchen Attraktionen bliebt die Schule aussen vor; der Unterricht und die Lehrer haben dem nur wenig an packendem Ersatz entgegen zu stellen.
Sich zu emotionalisieren steht vor allem bei den Jungs bereits schon als Sucht +über Absorption in Konkurrenz zum neuen Lernen, das immer klarer introvertiert und autogen bezogen stattfindet. So wird ein kultureller Widerspruch zugelassen, den Jungs nur schwer bewältigen.
Eltern und Erzieher haben zu dieser Scheinwelt eines negativen Empathietrainings und der Sofortbefriedigung so gut wie keinen Zugang. Was entsteht ist ein Verschleiß an Motivation, der verhindert, dass auch Jungs sich altersgerecht sozialisieren.
So gilt die Realität eines oft langweiligen Schulalltags oder eines Wochenendes ohne Ereignis und Bewegung als Ursache für die Gegenrealität mit verführerischer Faszination. Kein Wunder, dass die Noten bei den Jungs je nach Fach und Lehrer schlechter werden.
Deswegen betonen Soziologen und Psychologen, dass Alltagsrealität und Gegenrealität der Medien nicht zusammen passen, weil über Computerspiele die Lebenswirklichkeit emotional nicht geübt werden kann. Spiel wird zur Sucht, zur lenkt von der Realität ab. Trotz anspruchsvoller und spezieller Strategien in der digitalen Kunstwelt baut diese keine Brücken in den Alltag und erschwert es, die Realität zu bewältigen.
Schon wieder die Lehrer
Dann also doch und endlich ran an die Eltern und an die Schulen und an die Lehrer. Wer nicht nur Symptome bekämpfen will, der muss alles daran setzen, dass alle Fähigkeiten über die Schule faszinierend und mobilisierend angeregt werden.
Kontrolliert und mitgestaltet von Eltern und Schülern und wo der Lehrer einem Ganztagsjob nachgeht und ständig Ansprechpartner sein kann.
Neben Lehrplan und Lernstoff bedarf es der Anregung und der Räume für selbst gewählte Projekte, für Wettbewerbe, sportliches Training und Ereignisse. Doch leichter gesagt als getan. Auch wenn Interessen nach Gestaltung und Kunst ausgelebt werden sollen, bedeutet dies eine Reform, die nur für Blauäugige und Phantasten schon morgen gestartet werden kann. Wer kann bei leeren kommunalen Kassen schon Ganztagsschulen mit Ganztagslehrern – wenn diese das altersabhängig das überhaupt wollen – „relativ rasch schaffen“?
Doch eines gilt schon: in Schulen, in denen man Schülern mit Attraktivitäten begegnet, die auch körperlich auslasten und wo Abläufe gewollt anstrengend sind, wird Aggressivität und Ungeduld abgebaut. Lassen sich also Schulen, die auch Jugend- und Freizeitzentrum sind, auch ohne Parteiengezänk schaffen?
Mehr Freiraum für Kommunen, Eltern und Lehrer und mehr Transparenz und Evaluation könnte Bewegung rein bringen. Doch erst, wenn die Jungs die Mädchen wieder eingeholt haben, würde man wissen, dass alle Schüler als Individuum gefördert sind und sie nicht nur für spezielle Eigenschaften mit Noten belohnt werden.
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