Mario Andreotti *) über schwache Abiturienten und den Mut zur Elite
[…] Was … Studien längst belegt haben, muss uns vermehrt zu denken geben: Auch Absolventen der Gymnasien machen in der deutschen Sprache haarsträubende Fehler. Unter ihnen gibt es solche, die kaum einen einzigen Satz korrekt schreiben können. Dabei reichen die Fehler von der Sprachlogik über die Stilistik und die Syntax bis hinunter zur Rechtschreibung. […]
Das Gymnasium vermittelt die Fähigkeit des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks […]
Das ist nicht hoch genug einzuschätzen, beeinflusst die Sprachkompetenz doch die Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit erheblich.
[…] Schwierigkeiten im Studium entpuppen sich bei näherem Betrachten nur allzu oft als mangelnde Sprachbeherrschung. Doch … tun sich heute viele Gymnasien schwer, im Fach Deutsch, … ihren Schützlingen im Hinblick auf die Sprachrichtigkeit klare Forderungen zu stellen.
[…] Haben Gymnasiallehrer den Anspruch, junge Menschen auf ein Hochschulstudium vorzubereiten, dann dürfen sie den sprachlichen Schlendrian vieler ihrer Schützlinge nicht einfach hinnehmen, kann es ihnen nicht mehr oder weniger egal sein, wie sie schreiben.
[…] Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass die Zunahme der Sprachfehler bei den Abiturienten und den Maturanden einher geht mit der Demokratisierung unserer Gymnasien seit den 1960er-Jahren, mit dem Glauben, man müsse möglichst viele junge Menschen zu einem Mittelschulabschluss führen, die Bildungsreserven seien voll auszuschöpfen.
Die Erfahrung zeigte dabei schnell: Je höher die Abitur- oder Maturaquote ist, desto niedriger ist das Können der Absolventen. Wer also die Qualität der Gymnasien erhöhen will, setzt bei den Quoten an und hält sie vergleichsweise tief.
Ich kann und will es nicht leugnen, dass wir heute wieder den Mut zur Elite haben müssten – einen Mut, den wir in einer Zeit der unseligen Gleichmacherei schmerzlich vermissen. Denn die Bildung einer Elite ist für den Staat und die Gesellschaft ebenso wichtig wie die Förderung der Schwachen. Wer aber nicht richtig schreiben kann, wer sprachlich inkompetent ist, gehört weder zur Elite noch an eine Hochschule.
*) Mario Andreotti lehrt in St. Gallen als Dozent für neuere deutsche Literatur. Er ist er u.a. Mitglied der Eidgenössischen Passerelle-Kommission für den Hochschulzugang und Buchautor („Die Struktur der modernen Literatur“).
http://www.suedkurier.de/nachrichten/kultur/Wenn-Abiturienten-es-nicht-koennen;art10399,8084190
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