Vom Pagen zum Rittmeister – Ärger über Autoren
von Wolfgang Bräun (c)
Einst war er für viele junge Leser als „Lügenbaron“ berühmt geworden; als ein Geschichtenerzähler aus der „schwarzen Linie“ des Adelsgeschlechts derer von Münchhausen, dessen Repräsentant er zu Lebzeiten nicht selbst war, denn das war der Kur-Braunschweig-Lüneburgische Premierminister Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770).
Unser Baron Freiherr Hieronymus Carl Friedrich war eines von acht Kindern, geboren am 11. Mai 1720 im Herrenhaus eines Gutshofes im Bodenwerder Schloss, Sohn des Oberstleutnants der Kavallerie Georg Otto von Münchhausen (1682–1724), Gutsherr auf Rinteln und Bodenwerder.
Der nun war Ur-Ur-Enkel des Söldnerführers Hilmar von Münchhausen. Als Halbwaise mit vier Jahre erzog ihn seine Mutter Sibylle Wilhelmine von Reden aus Hastenbeck (1689–1741)
Und wie es sich für den Adel damals gehörte, ging Hieronymus mit 13 Jahren an den Hof Braunschweig nach Wolfenbüttel, wo er 1737 Page von Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und dessen späterer Frau Anna Leopoldowna wurde, Nichte und designierte Nachfolgerin von Zarin Anna von Russland.
Anton Ulrich, militärisch geschult mit Ambitionen zur russischen Aristokratie, weilte in Sankt Petersburg, als ihm Münchhausen im Dezember 1737 nachreiste.
Noch in jenen Tagen ist er wohl seinem Herrn in den Russisch-Österreichischen Türkenkrieg (1736–1739) gefolgt, deren kriegerische Ereignisse ihn auf seine späteren Lügengeschichten brachten.
Auch jene vom berühmten „Ritt auf der Kanonenkugel“, als er die Belagerung der osmanischen Krim-Festung Otschakow durch Oberbefehlshaber von Münnich erlebte.
Münchhausen stieg militärisch auf, als ihn 1739 Zarin Anna Iwanowna zum Fähnrich der russischen „Braunschweig-Kürassiere“ ernannt, deren Regimentschef Anton Ulrich in der Garnison Riga war. Von dort aus nahmen beide wohl wieder teil am Russisch-Schwedischen Krieg (1741–1743) teil, während er nebenbei 1740 zum Leutnant wurde.
Unter Ulrichs Patron machte Münchhausen Karriere, während nach dem Tode der Zarin Anna der noch einjährige (!) Sohn Ulrichs als Iwan VI. Zar von Russland wurde.
Doch den Welfen und ihre Entourage stand jäh ein Thronwechsel im Weg: Annas Cousine Elisabeth, Tochter Peters des Großen, stürzte 1741 den einjährigen Iwan setzte ihn samt Familie lange gefangen.
Münchhausen überstand den Umsturz, wohl weil er zu jener Zeit in Finnland kämpfte; die Karriere stockte. Zehn Jahre dauerte es, bis er 1750 in der Garnisonstadt Riga zum Rittmeister avancierte. In den dortigen deutsch-baltischen adligen Kreisen schätzte man bald, wie er ausschweifend und phantasievoll erzählen konnte.
Dies sei erstmals in der Schenke der Stadt geschehen, wo ihm auch der baltische Landadlige Georg Gustav von Dunten zuhörte, auf dessen Landgut der Baron auf Tochter Jacobine (1726-1790) traf, die er am 2. Februar 1744 im nahen Pernigel (Liepupe) heiratete.
Seinen militärischen Abschied nahm Münchhausen 1750, kehrte nach Deutschland zurück und lebte kinderlos mit seiner Frau weitere 40 Jahre auf dem Erbgut Bodenwerder an der Weser.
Als Landedelmann bestellte er sein Gut, pflegte die Geselligkeit mit Nachbarn und liebte die Jagd.
Freunden und Gästen tischte er talentiert seine Erzählungen auf, fabulierte gekonnt, was wohl auch Museumsdirektor Rudolf Erich Raspe Kassel auffiel.
Doch zunächst publizierte Graf Rochus Friedrich zu Lynar 1761 drei dieser Erzählungen, dessen Bruder Moritz Karl einst in Petersburg der Geliebte von Herzogin Anna Leopoldowna war. Lynar kannte die adlige Entourage und die Hofschranzen seit er 1749 Gesandter in St. Petersburg und von 1752 bis 1765 Statthalter in Oldenburg war.
Tantiemen gab es für Münchhausen keine, doch traf ihn nach 46 Ehejahren das Schicksal, dass er 1790 Witwer wurde, worauf er um sein Patenkind warb, die 17-jährige Tochter des Majors von Brunn aus Polle.
Drei Jahre später willigte die 20-jährige Bernhardine Brunsig von Brunn in die Ehe ein, doch schon wenig später wurde sie untreu und der 73-jährige Baron reichte die Scheidung ein. Drei Jahre dauerte der Rechtstreit mit viel Aufsehen – für den Baron wirtschaftlich ruinös.
Münchhausens Vermögen war geschrumpft, weshalb er sein Gut 1794 an seinen Neffen Wilhelm abtrat. Dem Baron blieb sein Wohnrecht, während Bernhardine von Brunn in den Niederlanden zunächst als verschollen galt, doch heiratete sie 1800 den Drosten Abraham de Both aus Didam.
Ein bereits benannter Gast in Bodenwerder, der Universal-Gelehrte und Kustos Rudolf Erich Raspe, lebte wohl eher auf zu großem Fuß als dies Münchhausen je tat, überschuldete sich und stahl zur Abwehr 1774 Münzen aus den landgräflichen Sammlungen in Kassel.
Die Tat wurde entdeckt, Raspe floh nach England und kam auf die Idee, in London 1785 Anekdoten und Reise-Abenteuer als „Münchhausen“ zu veröffentlichen, wohl wissend, dass 1761 Graf Lynar und danach 1781 ein ‚Anonymos‘ neue, alte „Münchhausiaden“ hatte drucken lassen.
Raspes ungeheurer Erfolg führte zu weiteren Auflagen, bis im September 1786 der Gottfried August Bürger in Göttingen seine „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande – Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“ veröffentlichte, bis heute die bekannteste Fassung über die Abenteuer des Lügenbarons. Bürgers Werk war sowohl Übersetzung von Raspes Vorlage wie auch Bürgers eigene Schöpfung.
Auf Raspes fünfte Auflage zog Bürger im Herbst 1788 mit einer zweiten erweiterten Ausgabe nach. Damit wurde Hieronymus von Münchhausen zwar weltberühmt, doch eben als „Lügenbaron“, was er so empfand, als dass man ihn lächerlich mache.
Dieser Ärger vergällte ihm zum späten Eheabenteuer und dem Ruin daraus den Rest seiner Jahre. Münchhausen starb am 22. Februar 1797.
Bis heute zählen die dem Baron zugeschriebenen Erzählungen traditionell zu den Lügengeschichten, wie sie bereits im klassischen Altertum, im talmudschen Judentum und im orientalischen Erzählgut auftraten, fortgeführt von den humanistischen Fazetien und Schwänken des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland.
Über den Baron, wenn auch nicht von ihm verfasst, sind es über 100 Geschichten, von denen einige populär sind:
Münchhausen reitet auf einer Kanonenkugel und inspiziert feindliche Stellungen und steigt um auf eine Kugel in Gegenrichtung.
Münchhausen bindet sein Pferd in einer Winternacht an einen – wie er glaubt – Pfahl an, in Wirklichkeit aber an die Spitze eines Kirchturms. Nach der Schneeschmelze baumelt das Pferd am Kirchturm, Münchhausen schießt mit seiner Pistole das Halfter durch, das Pferd fällt herunter und er seine seine Reise fort.
Münchhausen schießt einem Hirsch eine Ladung Kirschkerne auf den Kopf, worauf in dessen Geweih ein Baum entsprießt.
Münchhausen jagt einen achtbeinigen Hasen.
Münchhausens Pferd wird durch ein Torgatter zweigeteilt. Während der Baron unwissend mit der vorderen Hälfte zur Tränke reitet, vergnügt sich die hintere auf der Wiese mit Stuten.
Münchhausen zieht sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf.
Der Witz bei all den Geschichten liegt darin, dass die Gesetze der Physik und der Biologie ad absurdum geführt werden.
Münchhausen-Geschichten sind seit 1911 auch verfilmt worden, als Real- wie auch als Zeichentrickfilm. So auch „Les aventures de Baron du Munchhausen“ von Georges Méliès, der Trickfilm „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ und „Die Wahrheit über alles“ aus 1930/1931.
Zu den bekanntesten gehört der UFA-Film von 1943 mit Hans Albers; Drehbuch Erich Kästner, der jedoch nur alias ‚Berthold Bürger‘ schreiben durfte. Ein Streifen für 6,5 Millionen Reichsmark und damit nach „Kolberg“ von Veit Harlan der zweit-teuerste der NS-Zeit.
Es folgte ein deutscher Trickfilm 1944, 1973 und 1974 weitere in der Sowjetunion und dann 1995 in Russland von Natan Lerner und Anatolij Solin.
Die bekanntesten Abenteuer Münchhausens verfilmte der Franzose Jean Image 1979, bei denen Harald Juhnke den Baron synchronisierte.
1988 drehte das Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ mit Oliver Reed, Robin Williams und Sting.
Und schließlich liefen an Weihnachten 2012 bei der ARD 180 Minuten mit Jan Josef Liefers in der Hauptrolle.
Ein Münchhausen-Museum steht in Bodenwerder im Weserbergland samt einem Brunnen, der an die Geschichte mit dem halbierten Pferd erinnert.
Im nahen Kloster Kemnade hat Hieronymus in der Familiengruft Münchhausen die letzte Ruhe gefunden
Ihm zu Ehren steht seit 2005 ein Denkmal im Zentralpark Kaliningrad, gestiftet vom Klub der „Enkel Münchhausens“ (Внучата Мюнхгаузена) aus Bodenwerder; 1994 benannte man den Asteroiden # 14014 mit dem Namen des Barons und last not least erinnerte 1970 eine Briefmarke an den 250. Geburtstag des Barons.
Alles keine Lüge!
Münchhausen erzählt im Freundeskreis von seinem Ritt auf der Kanonenkugel. Zeichnung von August von Wille
Münchhausen auf Entenjagd, von Gottfried Franz (1846-1905)
Münchhausen zieht sich aus dem Sumpf, Zeichnung von Theodor Hosemann
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