Es begab sich zu einer Zeit, da hörte man: „Die Deutschen sind das glücklichste Volk der Welt!“ – Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper habe am Tag des Mauerfalls 1989 so gefühlt.
Wird dagegen „historisch“ auf die Wiedervereinigung im Jahr 1990 geblickt, taucht manchmal das Wort ‘Wunder‘ auf.
Denn dass nach vier Jahrzehnten Kaltem Krieg ein solch historisch einmaliger Schritt friedlich gelang, sei auch 30 Jahre danach ausreichend Anlass für große Dankbarkeit.
Doch WER fragt sich WAS am zugehörigen Feiertag, dem 3. Oktober 2020?
Ist was geblieben „vom Zauber von damals?“
Wer erinnert sich wie an die Ereignisse?
Was lief bis heute gut, was muss besser werden?
Man liest, dass eine große Mehrheit der Menschen in Ost und West dankbar sei für die Einheit, dafür aber neue Spaltung sichtbar würde.
Denn um das Ansehen der Demokratie sei es im Osten deutlich schlechter bestellt als im Westen und die Schere gehe weiter auseinander, wie anhand von aktuellen Zahlen zu belegen sei.
Ein heißes Thema dazu: viele Ostdeutsche würden Anerkennung und Wertschätzung für ihre Lebensleistung vermissen. Ein Gefühl, das mit dem vieler Migranten geteilt würde. Somit sei „ein gemeinsames Narrativ wichtig“, das die Nation eine.
Über ein gemeinsames Narrativ *) würden öfters Ost-West-Paare verfügen, bei denen die Prägungen in West und Ost deutliche Spuren hinterlassen hätten.
Er, der Wessi, könne leichter auf Menschen zugehen, sie, die Ossi, sei vorsichtiger, hinterfrage mehr.
Das scheint zum Klischee vom selbstbewussten Westler und dem bescheidenen Ostler zu passen.
Und was sonst noch zum 3. Oktober?
Die Wirtschaftsleistung des Ostens betrug 1990 nur 37 Prozent zum Westen. In 2019 lag der Wert bereits bei 73 Prozent. Eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Wiedervereinigung…???
Manuela Schwesig meint aktuell, „die Freude über die Deutsche Einheit trage ich bis heute in mir. Auch wenn damals Unsicherheiten weit verbreitet waren.“
Sie sehe Deutschland heute als vereintes Land, wozu sie finde, dass 30 Jahre nach dem Mauerfall auch mal Zeit sei, mit Stolz auf die gemeinsame Aufbauarbeit der letzten drei Jahrzehnte zu blicken.
Wie meint Grönemeyer: „Tiiiieeeef im Weeeesten…“
*) Narrativ (Sozialwissenschaften)
Als Narrativ wird seit den 1990er Jahren eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss hat auf die Art, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es transportiert Werte und Emotionen, ist in der Regel auf einen Nationalstaat oder ein bestimmtes Kulturareal bezogen und unterliegt dem zeitlichen Wandel. In diesem Sinne sind Narrative keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind.
Bekannte Beispiele sind der Mythos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ und der Aufruf zum Wettlauf zum Mond, der in den USA starke Kräfte gebündelt und die Nation hinter einer Idee versammelt hat. Bestimmendes Element hinter einem Narrativ ist weniger der Wahrheitsgehalt, sondern ein gemeinsam geteiltes Bild mit starker Strahlkraft.
Weit verbreitet ist die Meinung, dass Narrative gefunden und nicht erfunden werden. Konsens ist, dass Narrative eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen Orientierung geben und Zuversicht vermitteln können.
Mit dem verstärkten Interesse an den Neurowissenschaften und der Rolle von Emotionen und des Unterbewussten in Entscheidungsprozessen ist auch die Bedeutung von Narrativen in der öffentlichen Diskussion gewachsen.
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