Von Hieroglyphen über die Heraldik zu Icon und Smiley
Von Wolfgang Bräun
Ob Bahnhöfe, Schulen, Kaufhäuser, Sport-Events oder im Straßenverkehr – es gibt sie zu Tausenden: Piktogramme. Verständliche, missverständliche und auch manch eines wenig gelungen. Die meisten kann man jedoch ‚dekodieren‘, auch wenn einzelne Piktogramme irrtümlich verstanden werden.
Ein Piktogramm, von lateinisch ‚pictum‘ gemalt oder Bild und von griechisch ‚gráphein‘ schreiben, ist eine Information als Bildzeichen in vereinfachter Grafik.
Es gilt dabei, die visuelle Info zwischen Sender und Empfänger als ‚Botschaft’ schnell und einfach dekodieren und verstehen zu können.
Tausendfach kennt man dies im Straßenverkehr und vielen weiteren Leitsystemen, weil hier Informationen fehlerlos und rasch vermittelt sein sollen. Typisch für die meisten Piktogramme: sie sind in ein komplettes Piktogramm-System eingebunden.
Den Ursprung des modernen Piktogramms findet man in Schriftsystemen wie den alt-ägyptischen Hieroglyphen oder den chinesischen Schriftzeichen.
Aber auch Zunftzeichen und Wirtshausschilder sowie die Heraldik als Wappenlehre mit meist exakten Regeln ihrer Wappenkunst und der Wappenkunde zeichneten den Weg auf für heutige Piktogramme.
Moderne Piktogramme zu entwickeln, kam jedoch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf.
Der Wiener Sozial-Philosoph Otto Neurath (1882–1945) und der Grafiker Gerd Arntz entwickelten 1936 die internationale Bildersprache und damit auch die wissenschaftliche Informationsgrafik ISOTYPE, dem International System of Typographic Picture Education.
Beide strebten mit ihrer ISOTYPE den „rationalen und konsistenten Einsatz von Bildzeichen an“.
Ihre „Wiener Methode“ setzte dabei auf klare Farbsymbolik und hohe Gegenständlichkeit bei räumlich reduzierter Darstellung, wie beim Scherenschnitt oder der isometrischen Darstellung.
Ihre Idee: keinen Gehalt an symbolischem Gegenstand, keine Raum-Illusion, keine kreative Ausschmückung, weder feine noch willkürliche Bildzeichen. Alle ohne enge Illustration und stattdessen als vermitteltes Wissen.
Den sozialen und sozialpolitischen Hintergrund markiert Neurath so:
„Der gewöhnliche Bürger sollte in der Lage sein, uneingeschränkt Informationen über alle Gegenstände zu erhalten, die ihn interessieren, wie er geographisches Wissen von Karten und Atlanten erhalten kann“.
Folglich sollte ISOTYPE „Wissen durch visuelle Mittel möglichst weit mitteilen und somit die Kluft zwischen Völkern und Sprachgruppen verringern“. ISOTYPE als Instrument zur „Humanisierung des Wissens und dessen Demokratisierung.“
In den ersten Dezenien des 20. Jahrhunderts wurden Piktogramme durch neue Flughäfen oder Events wie die Olympischen Spiele immer weiter entwickelt und revolutioniert.
Für den deutschen Designer Otl Aicher ergab dies die Aufgabe, ein Piktogramm-System für die Münchner Olympiade von 1972 zu gestalten, welches formal-ästhetisch quasi zum Standard avancierte.
In unserer Zeit der Internationalisierung und Globalisierung wurden Piktogramme unverzichtbar für Leitsysteme, Produkt-Kennzeichnungen und vielfach weitere Kommunikation.
Nahezu laufend werden Piktogramme neu kreiert, während hunderte bereits standardisiert sind, während die internationale Organisation für Standardisierung ISO versucht, interkulturell nicht verständliche Piktogramme zu reduzieren.
Neben den Piktogrammen sind längst auch Icons als Bildzeichen unabhängig von Sprache und Kultur verständlich, weshalb sie auch im Webdesign wichtig wurden.
Ist doch das Web eine internationale Welt und die Icons sind bei Online-Shopping, Produkt-Support, Blog-Formaten oder Kontakten eine wichtige Hilfe für Webdesigner.
Bildzeichen spielen in der Menschheitsgeschichte zwischen den Kulturen und der Kommunikation schon lange eine wichtige Rolle, weil sie eben eine sprach-unabhängige Bedeutung haben.
Einen wahren Piktogramm-Kult hat die Olympiade 1964 in Tokyo ausgelöst, als das erste Set für die Spiele 1964 in Tokyo gestaltet war, für das der japanische Grafiker Katsumi Masaru ein Bildzeichensystem zur Kennzeichnung von Sportarten vorstellte.
Es folgten die berühmten Olympia-Piktogramme für die Spiele in München 1972, gestaltet vom Grafiker Otl Aicher, Direktor der Hochschule für Gestaltung in Ulm von 1962-64.
Aicher reduzierte die damals och deutlich figurativen Piktogramme weiter und entwickelte auch für den Flughafen München ein komplexes Leitwegesystem, das international verständlich ist.
In Kooperation mit der Firma ERCO entstanden unzählige Piktogramme, um tägliches Leben zu bebildern. Von Otl Aicher stammt auch der Kranich als Logo der Lufthansa.
Seither wurden die Olympia-Icons immer wieder neu interpretiert und modernisiert, auch für die olympischen Spiele in Beijing 2008.
Bei Sinn und Hintergründen für Bildzeichen gelten als wichtige Merkmale für deren Gestaltung:
Piktogramme und Icons sollten ohne Text verständlich sein. Bildzeichen sollten international und unabhängig von einer jeweiligen Kultur verstanden werden und sie sollten ohne zusätzliche Elemente gestalte werden.
Deshalb sollten Icons und Piktogramme vor allem der Information und der Navigation dienen, während Signets, Sujets oder Markenzeichen oft auch die wirtschaftliche Corporate Identity unterstützen.
Im Alltag sind Piktogramme heute selbstverständlich für jeden in einer globalisierten Welt. Sie kommunizieren schnell, sprachübergreifend und schaffen das, was einer internationalen Kunst-oder Plansprache wie Esperanto nicht gelungen ist. Inzwischen beschäftigt sich auch die Bildende Kunst mit Piktogrammen, wie es bei Pippo Lioni zu sehen ist.
In vielen der einfacheren Schriftzeichen lässt sich der bildliche Ursprung leicht erkennen.
門 Tor 木 Baum
火 Feuer 人 Mensch
川 Fluss 山 Berg
Die Erfindung des Personal-Computers löste mit dessen grafischer Benutzeroberfläche eine weitere Flut an Piktogrammen aus, die als Icons bezeichnet werden. Und auch Emoticons und Smileys sind Piktogramme.
Neben Informationen, die sprachunabhängig oder möglichst schnell auch als Verkehrszeichen vermitteln, warnen Piktogramme symbolisch auch vor Gefahren.
Wetterverhältnisse werden für Sonnenschein mit „Sonne mit Strahlenkranz“, die klare Nacht als „Mondsichel mit Sternen“, schräge Striche für Regen und mit Blitz für ein Gewitter dargestellt.
Im Design abgewandelt werden Piktogramm, um rasch erkennbar zu sein oder auch, um dem Erscheinungsbild eines medialen Unternehmens zu entsprechen.
Die Internationale Organisation für Standardisierung ISO hat mit ISO 7001 eine Sammlung von Piktogrammen sowie deren Qualitätstests mit ISO 9186 erschaffen, um die Nutzung von nicht standardisierten und nicht interkulturell verständlichen Piktogrammen zu reduzieren.
Ein gar fatales Piktogramm sei einst Brasilien entstanden. Weil der Arzneistoff Thalidomid, früherer Handelsname Contergan, dort national gegen Lepra eingesetzt wurde, druckte man eine Schwangere mit durchgestrichenem Bauch auf, um vor eventuellen Schäden der Leibesfrucht zu warnen. Doch dieses Kennzeichen wurde allzu oft als Verhütungs- oder Abtreibungsmittel fehlgedeutet. Ein Irrtum, der nicht sein sollte.
Otto Neurath (* 10. Dezember 1882 in Wien; † 22. Dezember 1945 in Oxford) war ein österreichischer Nationalökonom, Wissenschaftstheoretiker, Arbeiter- und Volksbildner und Grafiker. Mit Isotype entwickelte er im Rahmen seiner Museumspädagogik einen Vorläufer der Piktogramme.
Gerd Arntz (* 11. Dezember 1900 in Remscheid; † 4. Dezember 1988 in Den Haag) war ein gesellschaftskritischer Künstler und Grafiker; er gilt als Erfinder und Wegbereiter des modernen Piktogramms.
Otto „Otl“ Aicher (* 13. Mai 1922 in Ulm; † 1. September 1991 in Günzburg) prägte als bedeutender deutscher Gestalter und Grafikdesigner das 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Ehefrau Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Hans und Sophie Scholl, und dem Architekten und Künstler Max Bill gründete er 1953 die Hochschule für Gestaltung in Ulm (HfG).
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